Der Hund läuft besser ohne Leine

Eine Replik

 

Neulich musste ich heftig mit dem Kopf schütteln, als ich auf einem Hundeblog einen Kurzbeitrag zum Thema Leinenführigkeit gelesen habe. Dass ich mit dem Kopf schütteln muss, passiert mir häufiger. Dann verbanne ich sofort die unangenehmen Gedanken -die beim Lesen mancher Artikel entstehen – und konzentriere mich lieber auf die guten und wichtigen Dinge im Leben. Aber dieser Text hat mich nicht los gelassen. Immer wieder tauchte er in meinen Gedanken auf, und in meinem Kopf rief es: Das was der da schreibt, stimmt nicht!

Ja, ich wusste, dass die aufgestellte These des oben genannten Blogs nicht stimmt. Nicht zuletzt, weil ich zufälligerweise kurz zuvor eine völlig gegensätzliche, und wissenschaftlich belegte, Argumentation zur Thematik gelesen hatte. Trotzdem habe ich noch einige Tage mit mir gerungen, bis ich mich dazu entschließen konnte diese Gegendarstellung zu verfassen.

Aber alles der Reihe nach: Was stört mich konkret an diesem Blog-Post?

Ich zitiere:

„In fast jeder Diskussion um Leinenzwang, Flexi-Leinen, Leinen generell oder Hundeerziehung überhaupt kommt irgendwann mal das Totschlag-Argument „Mein Hund läuft ohne Leine besser als mit.“ Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn! Kein Hund – jawohl, so weit lehne ich mich aus dem Fenster – kein Hund läuft ohne Leine besser als mit. Es kommt einem nur so vor!“

Lieber Leser, Lieber Herr Dvorak (Autor des Textes),

das ist überhaupt kein ausgemachter Blödsinn. Die subjektive Empfindung eines Hundehalters – sein Hund liefe besser ohne Leine – kann wissenschaftlich untermauert werden. Sie ist folglich kein ausgemachter Blödsinn, sondern höchstens eine Ungenauigkeit in der Wortwahl dessen, was als das „bessere Laufen“ anzusehen ist.

Wissenschaft statt Floskeln
Wissenschaft statt Floskeln

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Leinenführigkeit

In seinem Buch „Forschung trifft Hund“ schreibt Dr. Udo Gansloßer – PD für Zoologie an der Uni Greifswald – auf Seite 110:

„In einer Dissertation von Ute (sic.) Olsen an der Veterinärfakultät in Berlin konnte gezeigt werden, dass […] die Einschränkung durch die Leine für den Hund offensichtlich ein erhebliches Problem darstellen kann […]“.

Abgesehen davon, dass die Dame Ulla und nicht Ute heißt, existiert die genannte Dissertation aus dem Jahre 2009 tatsächlich und lautet: Zusammenhänge zwischen Hundeverhalten und unterschiedlicher Einschränkung des Hundes durch die Leine“. Sie ist im Volltext hier abruf- und einsehbar.

300 Hundehalter aus dem Raum Berlin/Brandenburg wurden im Jahr 2001 dazu befragt, wie sich das Verhalten ihrer Hunde verändert, wenn diese durch Spaziergänge, die überwiegend an der Leine stattfinden, in ihren sozialen Kontakten eingeschränkt werden. Insgesamt zeigte sich, dass die „problematischen“ Verhaltensweisen häufiger bei den Hunden vorkamen, die eingeschränkt an der Leine geführt wurden.

Schlussfolgerungen für die Leinenführigkeit

Offenbar gibt es zahlreiche Hunde, die sich mit dem Laufen an der Leine schwerer tun als andere. „Problematisches“ Verhalten tritt vor allem dann auf, wenn die Hunde durch die Leine besonders eingeschränkt werden. Umgangssprachlich wäre es durchaus legitim zu behaupten, dass einige Hunde ohne Leine einfach „besser“ laufen. Aber was bedeutet diese Erkenntnis für das Leinenführigkeitstraining mit Hunden?

Grundlage jeglicher Interaktion mit Hunden ist die Kenntnis ihrer Körpersprache und Verständnis für ihr Handeln. Ein norwegischer Tierarzt namens Owren schrieb anlässlich eines Symposiums aus dem Jahre 1982:

„Viele Zwischenfälle könnten vermieden werden, wenn die Halter in der Lage wären, besser mit ihren Hunden zu kommunizieren. Oft ist es das fehlende Verständnis füreinander, welches Probleme schafft. […] Nicht nur die Quantität der Leinenführung, sondern auch die Qualität führt zu Problemverhalten bei Hunden.“

Hunde müssen in erster Linie dann an der Leine geführt werden, wenn es die äußeren Umstände nicht anders zulassen. Dann ist es in ihrem Sinne, wenn wir die „Qualität der Leinenführung“ steigern. Bitte beachtet dabei folgendes:

Ohne das Wissen über die Körpersprache des Hundes und das nötige Verständnis für seine Handlungsweisen findet keine harmonische Beziehung zwischen Mensch und Hund statt; folglich auch keine entspannte Leinenführung. Aversive Methoden, wie Leinenruck und Spritzpistolen, können zu einer Steigerung der Aggressivität führen. Diese Tatsache belegt die genannte Studie ebenfalls. Besser wäre es dem Hund den Raum zu geben den er benötigt um kluge Entscheidungen zu treffen und gewünschtes Alternativverhalten zu zeigen.

dieser Sozialkontakt wäre an der Leine mit großer Wahrscheinlichkeit eskaliert
dieser Sozialkontakt wäre an der Leine mit großer Wahrscheinlichkeit eskaliert

Positive Verstärkung als Schlüssel für die Mensch-Hund-Beziehung

Mit einem weiteren Zitat möchte ich meine Replik beenden: „Das Gute an der Wissenschaft ist: sie hat recht – egal, ob man daran glaubt oder nicht., schreibt die Autorin Katharina von der Leyen und beruft sich dabei auf den Astrophysiker Neil deGrasse Tyson.

Weiterhin führt sie aus:

„Die Wissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit Lernbiologie beschäftigt, dem Einsatz von Strafen in der Hundeerziehung, die Rolle von „Dominanz“ in der Hundewelt und den Effekten von positiver Verstärkung. […]
Die Zukunft der Hundeerziehung ist der Weg der positiven Verstärkung. Wer das nicht verstehen möchte, will Hunde nicht verstehen.“

Und damit ist alles gesagt, was gesagt werden musste.

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  • Lothar

    Also meine Hunde gehörten und gehören ALLE zu der Sorte Hund, die ohne Leine besser laufen als mit.
    Aber wie so oft, lässt sich auch diese Diskussion auf den zweibeinigen Teil des Mensch – Hund Teams beschränken. Will sagen, wer seinen Hund nicht kennt, versteht, weil er es nicht kann oder will, hat meist Probleme, mit oder ohne Leine.

    LG Lothar und Malena

  • http://www.lucieshundegesundheitsblog Anke Jobi

    Hallo Sarah,

    ehrlich gesagt finde ich den Artikel gar nicht so schlecht (also ich meine den kritisierten, „mein Hund läuft ohne Leine besser“). Ich habe das ganze aber auch ein bisschen anders verstanden …

    So wie ich es verstehe, geht es ihm eher darum, dass viele Leute sich in die Tasche lügen, wenn sie behaupten, ohne Leine läuft der Hund besser. Letztendlich machen sie sich aber vielleicht einfach nicht die Mühe, ihrem Hund beizubringen, genau so entspannt an der Leine zu laufen, wie ohne.

    Wenn man mit Hund irgendwo unterwegs ist, wo die Leine einfach ein MUSS ist, wäre es ja angenehm, wenn der Hund auch gelernt hat, das vernünftig zu handhaben. Dabei muss man aber klar unterscheiden, worum es dabei geht. Dazu kann es z.B. hilfreich sein, wenn Hund von Anfang an lernt, Leine bedeutet nicht schnüffeln, nicht rennen, nicht ziehen, nicht andere Hunde treffen … Von Anfang an praktiziert, Lerneffekt: an der Leine is nix los, ich kann also einfach entspannt neben Frauchen/Herrchen gehen.

    Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Assoziatin des Hundes, also was verbindet er mit der Leine. Und wie empfindet er die Verbindung zu seinem Mensch durch die Leine. Ist er an der Leine unsicher? Ist die Vertrauensbasis Mensch/Hund gefestigt oder nicht? Hat er das Gefühl, er ist dann „schutzlos ausgeliefert“? Meint er, er müsste was regeln? Hinter dieser Assoziation verbirgt sich aber wiederum das Verhalten des Menschen (bzw. was er vielleicht auch schon vorher, woanders gelernt hat).

    Klar ist es einfacher, den Hund ohne Leine laufen zu lassen. Ein Leinentraining, das als Ergebnis ein entspanntes Laufen an der Leine hat, ist eine Ausdauer und Konsequenz erfordernde Angelegenheit. Ich persönlich glaube aber, jeder Hund KANN das lernen und jeder Hundehalter KANN seinem Hund das beibringen.

    ich finde auch den Artikel vorher gut, den er geschrieben hat: Keine Sozialkontakte an der Leine. Vielleicht habe ich ihn auch deshalb anders verstanden, weil ich diesen auch gelesen habe.

    Was mir (wie Mieke) auch gut gefallen hat, waren deine Quellenangaben im Text.

    Liebe Grüße
    Anke

  • http://www.hundundich.com Mieke

    Hi Sarah,
    sehr schöner Artikel. Ich finde es erfrischend Quellenangaben in einem Blog zu lesen!

    Ich kann mir das gut vorstellen, dass Hunde mit der Leine Probleme haben. Pebbles hat ein ähnliches „Problem“. Sie läuft besser an der Leine, wenn sie ein Geschirr trägt, als wenn sie ein Halsband trägt. Obwohl mir viele Hundetrainer davon abgeraten haben das Geschirr zu benutzen, wenn es um die Leinenführigkeit geht. Mir kommt es immer so vor, als wolle sie gegen das selbst verursachte „Würgen“, dass durch ihren Zug entsteht, anziehen wollen.

    Gemeinsam haben wir große Fortschritte gemacht, allerdings weder durch Leinenruck, noch durch ständige Bespaßung oder Futterkonditionierung, sondern mit der von Holger Schüler (Buch: Wir verstehen uns – Hundeerziehung mit Gefühl und Verstand) vorgestellten Schleppleinenmethode, wo dem Hund Raum zum Selberdenken gelassen wird. Dies jedoch auch in Kombination mit allgemeinem Aufmerksamkeitstraining.

    Viele Grüße
    Mieke & Pebbles